Subjekte, Stars und Morphing

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Marion Strunk

Subjekte, Stars und Morphing

Wer oder was bin ich? Das ist die moderne Frage. Erkenne dich selbst, ein uraltes Thema oder Postulat. Selbsterkenntnis. Ein Ich, das sich kennt, kennengelernt hat, mit sich selbst vertraut ist, beherrscht die Fähigkeit zur Reflexion, um im Stand der Dinge festzuschreiben, wie es gesehen werden will, und festsetzt, was es für wesentlich hält. Das Denken bestimmt Sein und Ich, die Vernunft das Überprüfen der Beweiskraft einer Wirklichkeit.
Dieses cogito wählte zum ersten Mal einen subjektiven Ausgangspunkt und machte das Individum berühmt, gleichzeitig wurde das ich denke sein fester Kern, auf den sich alles beziehen sollte.
Ein Subjekt aus Bronze.

Seife oder Schokolade
Anders verhält es sich mit Seife und Schokolade, diese flüchtigen, vergänglichen Materialien, die kaum einen Ort finden können – ausser dem klimatisierten Museum – der sie dauerhaft präsentieren kann. Vergänglichkeit gegen Ewigkeit. Prozess gegen Statik.
Unversöhnliche Gegensätze?
Die Reflexion bleibt wichtig, nur sie geht ins Undefinierte, Offene, nicht Fixierbare, wird Spiel ohne Ziel. Das Spielen selbst wird wichtig, was schon so etwas wie die andere Vernunft ist, aber deshalb eben keine Autonomie, Identität oder Wahrheit anstreben muss. Mit Spiel ist gemeint, nicht allzu ernst zu sein, und die Vorstellung eines Ich, das über sich nachdenkt und über sich selbst etwas sagt und deshalb schon zu gültigen, allgemeinen Einsichten kommen kann, als grosse Illusion anzusehen.
Das ernste, vernünftige Subjekt muss nicht unvernünftig werden im Spiel. Mit Seife oder Schokolade kann es Süsses und Aufschäumendes erfahren und im Moment geniessen oder wegwerfen, aber auf jeden Fall ausprobieren und erkunden, was denn die einzelnen Momente zusammenhält.

Kannibalismus oder Zirkus
Das Kontinuum zeigt sich also nicht in der Konstante, im Fixen.
Es zeigt sich in der Wiederholung des Anfangens, in der Bewegung von einem zum anderen, was eine Struktur ergeben kann, in der Gegensätze unaufgelöst nebeneinander existieren ohne sich gegenseitig zu hierarchisieren. Die Teile streben nicht auf ein Ganzes zu, sie bleiben für sich Bruch oder Fragment und können so gesehen auch nicht für ein Ganzes aufgehoben oder erlöst werden aus ihrer selbstverschuldeten Unzulänglichkeit. Im Gegenteil, sie bleiben das, was sie sind: verstreute Einzelne, Akteure von kleinen Erzählungen.
Es gibt in dieser Hinsicht keinen zentralen Punkt, keine zentrale Perspektive oder Gewissheit, die von allen geteilt wird. Im Gegenteil:
Alles ist kontrovers und antagonistisch.
Aber: Es soll schmecken. Gut bekommt’s ! Geniessen. Auf alle Fälle.
Just for fun. Es darf gelacht werden und gefressen.
Summer Cannibals.
Nicht Repräsentation: Pragmatismus. Das cogito trennt Subjekt und Objekt, kartesianisch: Geist und Körper. Der Prozess des Verschlingens – altmodisch formuliert: Manifest des Kannibalismus – setzt uns in Form, informiert uns über die süsse Befindlichkeit eines schmackhaften Moments. Erlebniskräftig und mächtig.
Vielleicht. Keine und keiner weiss es gewiss. Ausprobieren.
Annehmen. Einfach nehmen. Ohne Netz und doppelten Boden.
Artisten in der Zirkuskuppel – ratlos.

Ambivalenz oder Honeckers goldene Henkel
Die Zweifel, ob das Ich durch Selbstreflexion Kohärenz, Identität und Transparenz erlangen kann, bestätigen sich in dem Verlust des Konzepts von einem stabilen Ich, das nie das Ganze wird sehen können. Die Macht, die Menschen durch die Rationalität über das Ich und die anderen zu haben glaubten, ist illusionär.
Rationalität und Vernunft entpuppen sich als einseitige Aspekte, eines totalen Anspruchs. Dass Erkenntnis, Selbsterkenntnis und mithin Selbstbewusstsein kein Fall des Wissens oder expliziter Reflexion ist, war schon mit der Konstruktion des Unbewussten – was auch für das Ungewusste stand – aufgeworfen worden, wobei auch dafür ein Wahrheitsgehalt unterstellt wurde.
Diese Orientierung ist ebenso nur in einem symbolisch geordneten System möglich, d.h. in einer Gesellschaft, in der ein Denken dominiert, das den Unterschied zwischen Schein und Wirklichkeit voraussetzt und exerziert und einen Ort angeben kann, von dem aus das Wahre vom Falschen zu trennen möglich ist. Da aber dieser eine Ort als einziger und einzigartiger langweilig werden muss, weil er auf Unterdrückung der vielen Möglichkeiten von Denken und Handeln angelegt ist, kann er kein sicherer sein.
Der Ungewissheit folgt das Gefühl der Ambivalenz, das als das ehrlichste Gefühl gelten kann oder das modernste nach der Moderne.
Der Verzicht auf das monströse Versprechen der Befreiung und Rettung kann nicht allein in den grandiosen Prothesen der Neuen Medien und Technologien gesehen werden. Das zeigt sich schon in den Ent-Täuschungen der grossen Entwürfe, die das weite Auseinanderklaffen von Theorie und Praxis veranschaulichen.
Auch Honecker hatte goldene Henkel.
Alles deutet darauf hin, dass eine Verschiebung stattgefunden hat, sagen einige. Die Befreiungsideen sind als Mythen entlarvt: – die Suche nach einem Fundament der Wahrheit aufgegeben, – kein Aufruf zur Revolution folgt dem Unbehagen im Subjekt.
Der Mangel scheint ins Stocken geraten, die Melancholie der Entfremdung zieht nicht mehr. Die Simulation wird Handlungsakt, in dem sich die Zeichen unendlich reproduzieren und dem Ursprungsmythos das Ende verkünden, die Identität als immer schon im Schnittpunkt zwischen individuellem und gesellschaftlichem Spiel konstituierte Fiktion hinstellen.

Marilyn & Andy oder Drag Queens & Kings
Die Subjekte handeln nur mehr situativ. Verkleidungen, auch performative Strategien, Subjektivität durch Darstellungsweisen aufzubauen, kommen daher wie die Mode. Die wahren Darstellungen einer inneren persönlichen Identität motivierten noch den Marilyn-Monroeschen Aufruf: I want to be wonderful und wurde ihr zum Verhängnis.
I want to be a star, Tic,Tac,Toe.-
Everybody can be a star for 15 minutes, sagte Andy Warhol noch.
Valerie Solanas nahm es sich zu Herzen und schoss ihm in den goldenen Körper, am 3. Juni 1968, was schon eine Tragödie war.
Im Schein zu scheinen, Star zu sein, verlangt keinen frisierten Pudel mehr im Schosse, es kann auch eine Rakete sein, glamourös. Die glänzende Plastik der Recyclings schmückt Piercing, Punk und Peitsche; Pink, Green, Blue and Yellow das Haar; Pipi und Kakadu.
Drag Queens erinnern an die blendenden Bilder, die Mode als Synomym für Weiblichkeit bildete: das Juwel an seiner Seite, ein Schein, der Sein ausstellt und den fetischisierten Kern des Begehrens immer wieder verkleidet.
Die Drag Kings bleiben gleichermassen im Bild als Parodien der Geschlechterkategorien, die echter nicht wirken könnten in ihren Verkleidungen. Die Mise en scène des Echten zeigt das Echte als Mise en scène. Die Welt des Scheins produziert das Reale als Effekt, als Artefakt einer lustvollen Maskerade.

Weisse oder schwarze Obszönität
Auch geht es nicht mehr nur darum, die Dinge schön zu finden, sondern auch sehr hässlich. Dreck und Schreck sind ins Revier gezogen. Die Bühne ist öffentlich, die Strasse ein Laufsteg.
Models tragen Buckel und im Gesicht das Tattoo. Das Verdrängte drängt ins Bild, unheimlich heimlich rückt der Schatten ins Licht.
Seitdem die Bilder switchen lernten, gibt es deren viele gleichzeitig und gleich gültig, ohne das einzig Wahre für Würde, Luxus und Stil favorisieren zu müssen. In den Neunzigern soll das gezeigt werden, was ist: Künstlichkeit. Dem Birth of the Cool folgt Pulp Fiction mit Be Cool. Cool Club Cultures.
Es gibt keine Form existentieller Rettung mehr. Das Versprechen wäre eine wenig freudvolle Fehlleistung, denn die Konfrontation der Gegensätze bleibt ohne Verbindung in eine übergreifende Einheit und ohne Anspruch auf Versöhnung bestehen. Das verdrängte Andere der Vernunft und Schönheit gähnt ein Loch in den brennenden Wunsch, ideal zu sein. Und aus dem Fetisch Frau wird eine, die vorübergeht, eine Passantin.
Inszenierung ist nicht mehr Darstellung eines inneren Konflikt – wie es die hysterische Geste wollte -, sie wird Verschiebung des Einmaligen in die Wiederholung und verstösst gegen die moderne Sitte, ein Original zu sein. Sie wird obszön; eine weisse Obszönität – wie Baudrillard sagt in Abgrenzung zur moralisch schwarzen, der sexuell kodierten Obszönität -, in der alle schauspielen und zuschauen und jeder und jede ihr eigenes Drama und Phantasma spielen ohne ein allgemeines zu repräsentieren:
Zu Beginn gab es ein Geheimnis: die Spielregel des Scheins. Dann gab es das Verdrängte: die Spielregel der Innerlichkeit. Und schliesslich gab es das Obszöne: die Spielregel eines Universums ohne Schein und Innerlichkeit, eines Universums der Transparenz. Weisse Obszönität.

Person oder Agent
Transparenz, damit kann die Abkehr vom Ideal der Einheit begriffen werden, also die Offenlegung von Versuch und Scheitern, von Vielheit und Differenz. Diese Obszönität ruft eine individuelle, deregulierte Expressivität hervor, die mit dem operativen, kognitiven und performativen Handeln einhergeht.
Das heisst auch: Die kleinen Erzählungen nehmen zu, sie ersetzen die grossen Erzählungen der Vernunft, der Emanzipation, Befreiung und Revolution, denn die kleinen Erzählungen verweigern eine normative Absicht. Insbesondere wenn man bedenkt, was für Möglichkeiten sie im Netz der neuen Technologien entfalten können.
Die vielen Gelegenheiten zur Erfindung individueller Erzählungen eröffnen das strategische Spiel des Versteckens. Man weiss nicht, was die anderen wissen:
Bist Du hübsch? – Ja, aber ich könnte auch ganz anders sein. –
Bist Du blond ?- Nein, schwarz.
Das Ungewisse wird transparent. Nett gesagt im Net, ist zugleich Schulung im Visualisieren, die Fiktion und das Faktische werden austauschbar, selbst dort, wo man die Daten eines Gegenstandes aufnimmt, da der Computer eine unendliche Zahl von Bildern produzieren kann.
Gleichzeitig sind die Bilder nicht mehr Metapher oder Symbol eines idealen Modells, auf das es verweist oder auf das es idealerweise bezogen werden muss, sondern Versuchung und Tat des ständigen Hervorbringens anderer Formen: Eine andauernde Metamorphose, die von der einen zur anderen verweist ohne ursprünglichen oder letzlich einheitlichen Referenten. Morphismen. Morphen und wieder morphen. I’ve be morphed into this picture.
Nicht Personen stellen sich vor mit besonderen Merkmalen und der romantischen Sehnsucht, erkannt zu werden, die Namen werden Zeichen für Anonymität, Künstlichkeiten, Chiffrenexistenzen. Das bietet unendliche Möglichkeiten, im Netz zu agieren – lebend oder tot, denn es können Agenten gefunden werden, die alles autonom erledigen. Die Personen können im Netz das sein, was sie behaupten, ihr Handeln beweist gar nichts. Deleuze/Guattari nennen sie Begriffspersonen, was eben diesen Prozess auf den Punkt bringt und ins Spiel und den Versuch meint, so etwas wie einen anderen – als den modernen – Subjektbegriff (falls man das Subjekt noch greifen oder begreifen kann), zu formulieren.

Entfremdung oder Verwandlung
Neben dem Begriff der Metamorphose wird derjenige der Simulation interessant, denn die Simulation kreiert selbst ihre Wirklichkeiten.
Die Ära der Simulation sei eine referenzlose Repräsentation, sagt Baudrillard, denn das Dargestellte ist keine Repräsentation mehr, weder auf eine Analogie, noch auf Äquivalenz beruhende, sondern ein aus allen Teilen konfektioniertes Modell ohne anderen Ursprung als seine eigene operationale Matrix, sie geht dem Realen voraus und erzeugt sie gleichzeitig.
Simulation ersetzt die Vorstellung des Wahren, Guten und Schönen.
Waren sogenannte wahre Bilder bis ins 20. Jahrhundert jene, die das Sein der Ideen und die Welt mit ihren Erscheinungsformen, wie sie die Sinne wahrnehmen, reproduzieren, wird diese Vorstellung von Mimesis mit dem zeitgenössischen Diskurs anscheinend von einem anderen Vorschlag abgelöst, der den fiktionalen Habitus der Erzählungen voraussetzt und in eine Theorie der Metamorphosen übergeht. Was den Prozess beschreiben könnte, eine Darstellung zu thematisieren, die sich selbst genügt und in ihrer Kommunikation keine Referenz beansprucht. Ob etwas wahr oder falsch ist, wird obsolet, der Anspruch auf Wahrheit lässt sich auf die Übermittlung kognitiver Inhalte reduzieren. Wahrhaftigkeit und Richtigkeit – die beiden grossen Moralbegriffe der Moderne – können sich nicht mehr für eine allgemeine Gültigkeit bereithalten.
Und das heisst auch: Es gibt keine kollektive Norm, kein Selbst oder eine symbolische Ordnung mit universellem Anspruch, die sich für die Subjekte zu Prämissen der Lebensweisen verankern liesse.
Also kann auch kein fester Ort, kein festes Ding oderObjekt zum Halt oder Gegenstand werden – die Stellung des modernen Subjekts wird unhaltbar. Wir nehmen nicht mehr am Drama der Entfremdung, sondern an der Ekstase der Kommunikation teil, sagt Baudrillard.

Ende oder Anfang
Die Subjekte sind nicht mehr Brennpunkt eines reflektierenden Bewusstseins, dessen Spiegel-Metapher zum favorisierten Bild wurde, sie werden zu Rhizomen eines Be Here Now. Oasen eines nicht mehr melancholischen Empfindens im barocken, unversöhnlichen Sein mit Schein.
Ich bin viele und alles andere gleichzeitig, überall und auch virtuell, und zwei sind nicht eins, wenn sie sich einig sind.
Diese aktuelle Geste – nett, netter, internetter – will Expressivität.
Mit anderen Worten: Die Konstitution der Subjekte definiert sich nicht mehr durch die Fähigkeit zur Reflexion und Interpretation, sondern durch die Fähigkeit zur Kreation von mehreren Ichs.
Es sieht so aus, als könnte eine Vielzahl von Positionen, die sich der Identifikation anbieten, hin- und hergewechselt werden, um jede Position einzunehmen, die gefällt, und dabei haben die von den Geschlechterdifferenzen gezogenen Grenzen für die Subjekte anscheinend nur noch relative Bedeutung. Die Phantasie wird zur Inszenierung des Begehrens und steht nicht in Gegensatz oder Widerspruch zur Realität.
Wenn also eine Person etwas sogenannt Weibliches oder Männliches simuliert, erfahren wir nichts über das, was hinter dieser Vorstellung stehen könnte. Wir erfahren etwas über die Vorstellung, eben was da hingestellt oder beschrieben wird (wobei es ein unbeschreiblich weiblich gar nicht geben kann), und dieses Etwas gibt keine Gewissheit, es wirft vielleicht eine Frage auf.
Die Antwort mit Verweis auf die Wiederherstellung einer symbolischen Ordnung zu geben hiesse, ein Gestell gefunden zu haben, ein Regal oder eine Regel. In der Szene der Phantasie bieten sich viele Möglichkeiten für eine Vielfalt von Identifikationen: Das Subjekt imaginiert sich in der Szene und phantasiert gleichzeitig einen Identifikationsprozess.
Die vorherbestimmten Gewissheiten gehen in diesem experimentellen Kontext unter. Es gibt aber immer das Zurückkommen auf den Anfang, da es die Wiederholung gibt, die den Unterschied setzt und wieder einen Anfang macht. Auch das Internet hat eine homepage. Die Grenze kann kein Gesetz ziehen, sie kann nur selbst gezogen werden von den Einzelnen und auch gemeinsam, von denen, die sich selbst zu eigen sind und daraus ein Gesetz des Einzelnen machen. So wäre die Festplatte wie ein Tisch, um den sich alle versammeln können zur Party oder sonst einer Partie, und
Dinge zu finden wären, mit denen jede und jeder etwas anfangen kann.
Die Gebrauchsweisen sind nicht in die Platte eingeritzt, sondern hängen von den Verbindungen ab mit diesem oder jenem, mit einer oder einem und keiner abstrakten Allgemeinheit.
Das Geschlecht, so schlecht und ungerecht es differenziert wurde, spielt nur mehr eine Nebenrolle. Das Konzept der symbolischen Ordnung verliert seinen Sinn, denn in den Performanzen wird klar, dass jede Rolle phantasiert und gespielt werden kann, ungeachtet eines angeborenen Geschlechts.

Play it

Die Verschmelzung von Fiktion und Wirklichkeit, die die Dominanz des einen über das andere ausschliesst, relativiert jeden ordentlichen Sinn oder jedes Denkschema. Eine feste Beziehung zwischen dem Denken und dem Handeln und der Wirklichkeit kann nicht hergestellt und so kein allgemeiner Sinn für ein Ziel gefunden werden. Der Vorschlag lautet, zum Spiel überzugehen, vielleicht subversiv, aber absichtslos, irritierend, ganz sicher mit fun and glamour, mit Witz und für das Komische.

Dank an : Janine Antoni, Eva & Adele, Lynn Hershman, Lyle Asthon Harris, Rosemarie Trockel, Pierre & Gilles, Judith Butler, Gilles Deleuze, Jean Baudrillard und Willem van Reijen.

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