Die Wiederholung

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Marion Strunk

Die Wiederholung

Marion Strunk, Betty von Richter aus der Serie: Leute, die aussehen wie andere, ohne es zu wissen, 1999
Marion Strunk, Betty von Richter
aus der Serie: Leute, die aussehen wie andere, ohne es zu wissen, 1999

In der Moderne gilt die romantische Anweisung, Kunst und alles andere originell zu machen, mit anderen Worten: die Tradition des Neuen. Einerseits ist ein Verlangen nach dem unbedingt Neuen als dem Noch-nie-Dagewesenen als Gegensatz zum Alten gesetzt, andererseits wird das Streben nach Neuem gleichgesetzt mit utopischen Entwürfen vom Besseren, Wahreren und Schöneren; die Glorifizierung des Neuen bleibt an ein Kulturverständnis gebunden, in dem das Denken und die Kunst die sogenannte Welt, wie sie ist, adäquat zu beschreiben oder mimetisch genau darzustellen habe, um Wirklichkeit verstehen, begreifen und verändern zu können; orientiert am Idealen. Mit dem Scheitern der Grossen Entwürfe und der Kritik an der Moderne, zeigte sich das Neue als Trugbild der bekannten Absolutheits- und Einheitsansprüche. Die postmoderne Philosophie priviligiert Heterogenität, Differenz und Pluralismus: Wiederholung und Differenz sind an die Stelle des Neuen und der Identität getreten. Alle Identitäten (Einheitsvorstellungen) gelten als simuliert und wie ein optischer Effekt durch das Spiel von Wiederholung und Differenz erzeugt. Die postmoderne Kritik an der Moderne versteht die Wiederholung, der Konkurrenz zum Neuen enthoben, nicht mehr negativ, sondern setzt sie als positive Möglichkeit von Handlung: Die Wiederholung als eine Tat der Differenz. Das Wiederholen will ein Noch-einmal, doch dieses Wieder findet nie zur selben Zeit statt, die Zeit selbst setzt einen Unterschied, und die Wiederkehr wird Vergegenwärtigung, Vergangenes wird abwesend anwesend. Erinnern, Wiederholen, Durcharbeiten hatte Freud (1914) gesagt. Mit Lacan müsste dieses Programm heissen: wiederholen, erinnern, durcharbeiten. Die Wiederholung geschieht durch die Tat, mit der gleichzeitig Erinnerung produziert wird. Lacan präsentiert (1953) Wiederholung als Gegenstück zur Erinnerung: Das Erinnern setzt er als Imaginäres, die Wiederholung hingegen als Symbolisches. Nicht im Rückgang auf imaginäre Erinnerungen könne Verhalten und Handeln erklärt werden, sondern nur in Bezug auf die Gesetze des Symbolischen, die sich in der Wiederholung verwirklichen. Das Wort: die Tat will die Aktivität betonen, die von Einzelnen ausgehen kann, und appelliert an eine Handlung, die bewusst gesetzt wird: Am Anfang war die Tat. Dass Handlungen nicht ausschliesslich als bewusste Entscheidungen gefasst werden können, wird im Begriff des Unbewussten aufgehoben. Für die Wiederholung ist letzteres interessant, denn den unbeabsichtigten Wiederholungen, der scheinbar beständigen Wiederkehr des Immer-Gleichen, scheinen die Einzelnen ausgeliefert zu sein. Freud sprach von einem Wiederholungszwang (1914), Lacan von einem Wiederholungsautomatismus (1953). Beide wollen über die Erinnerung Wiederholung gegenwärtig auflösen in die Tat, die Differenz schafft, die einen Unterschied zum Wiederholten setzt und Anderes – in diesem Sinn Neues – möglich machen soll. Die psychoanalytische Theorie des Unbewussten impliziert auch eine Konzeption des Gedächtnisses: Für Lacan ist es nicht nur ein Ort, auf den in Erinnerung zurückgegangen wird. Das Unbewusste wird Schauplatz, von dem die Wiederholung als >Vorwärtserinnern< ausgeht, und zugleich ist es der verschlossene Bereich, den das Subjekt durch seine Erzählung wieder beleben kann. In der Wiederkehr des Verdrängten insistiert das Symbolische. Es wiederholt sich in der Erinnerung. Schon Kierkegaard hatte (1843) die Unterscheidung von Wiederholung und Erinnerung vorgeschlagen, denn beide machen die gleiche Bewegung, nur in entgegengesetzter Richtung: „Wessen man sich erinnert, das ist gewesen, wird rücklings wiederholt, wohingegen die eigentliche Wiederholung sich der Sache vorlings erinnert.“ Das Neue enthält den Unterschied, den die Einzelnen in der Wiederholung machen; vermittelt über die Zeitlichkeit richtet sich die Wiederholung auf etwas nicht Austauschbares. So wäre das Neue der Unterschied, den die Wiederholung macht, wenn sie nicht Zwang und Trauma folgt, sondern der Entscheidung, den Unterschied zu setzen. Das Andere beginnt in der Wiederholung und folgt der Wahrnehmung von Differenz. Die Geste der Wiederholung bringt also keine Kopie zum Ausdruck wie eine Reproduktion, sie ist Darstellung einer Interaktion: Die Wiederholung thematisiert Differenz, die Hervorbringung des Verschiedenen.   In der Auffassung von der Wiederkehr des Immergleichen werden die Differenzen in Eines, undifferenziert in ein Ganzes ohne Variationen aufgelöst und letztlich ins Destruktive gewendet, was ein Tod jenseits von Leben und Narration ist. Um die Wiederholung konstruktiv zu halten, wird das Moment des Verlustes anzuerkennen sein, das die Differenz bedingt. Die Wiederholung holt nicht dasselbe wieder, sie erinnert an das Gleiche, das eben nicht identisch ist, und zeigt damit auch das auf immer Verlorene im Wiederfinden. Die Erinnerung wird zur Trauer um den Verlust.   René Magritte, Ceci n’est pas une pipe,1928   Wiederholung lässt sich zunächst als eine äussere Ähnlichkeit oder vollendete Äquivalenz repräsentieren: ein Gleichsein des Phänomens. Nur: Dies ist keine Pfeife, es ist das Bild einer Pfeife. Das Bild der Pfeife zeigt den Unterschied zur Pfeife: Das Zeichen, das auf Äquivalenz abhebt, bleibt immer ein Zeichen. Und die gemalte Pfeife ist nicht aus Holz. Wenn Gertrude Stein (1935) sagt: „Existiert ein Ding wirklich, kann es keine Wiederholung geben. Dann gibt es das Beharren das Beharren das in einer Emphase nie ein Wiederholen sein kann, weil Beharren immer lebendig ist und wenn es lebendig ist sagt es nie etwas auf die gleiche Weise weil Emphase niemals die gleiche sein kann nicht einmal wenn sie am meisten ist nämlich dann wenn sie erlernt worden ist“ – kann das an eine Arbeit von Giulio Paolini erinnern, die Venusfiguren, und damit wird deutlich, welche Unterschiede die Wiederholung macht:   Giulio Paolini, Mimesis, 1986   1. Die Wiederholung in der Gegenwart in Hinsicht auf die Gegenwart: Die Wiederholung, zum Beispiel einer Venusfigur, zeigt im Augenblick durch Verdoppelung andere Möglichkeiten des Sehens: die idealisierte Schönheit, die Harmonie der Kräfte, der Kontrapost, wird Dialog, die einsame Venus bekommt Gesellschaft, ihre Gesten kommunizieren. Gegenwart will nicht das Eine, sie will viele Möglichkeiten, eine Vielfalt der Wahrnehmung. Wiederholung nennt in der Gegenwart, was Zeit ist: Zum Beispiel die Erfahrung von Scham, Schönheit und Harmonie. Wiederholung treibt sich in der Zeit weiter, sie geht über das hinaus, was sie wiederholt, indem sie die Zeiten zum Thema macht. 2. Die Wiederholung in der Gegenwart in Hinsicht auf die Vergangenheit: Wiederholung ist Erinnerung, wieder holen von etwas, das war, durch Zeitlichkeit. Im Gegenwärtigen wird das Wiederholte different; in der Gegenwart ist Vergangenheit. Die Erinnerung zeigt: Frühere Erfahrungen können wieder lebendig werden, und auch die Geschichte kann sich wiederholen. Karl Marx sagt (1840): „Alle grossen weltge schichtlichen Tatsachen und Personen ereignen sich sozusagen zweimal, das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.“ So wäre das Bild der Venus als Bild der Frau eine Tragödie, in seiner Verdoppelung eine Komödie. 3. Die Wiederholung in der Gegenwart in Hinsicht auf die Zukunft: Wiederholung ist auf zukünftige Wiederkehr hin orientiert, zum Beispiel eine dritte Venus, Zukunft kommt im Augenblick; eine Gegenwart, die vorübergeht; ein Paradox: Gegenwart konstituiert Zeit, geht aber in dieser konstituierten Zeit unter. Zukunft ist deshalb nichts Unbekanntes. Kierkegaard sagt (1843): „Wiederholung ist eine Erinnerung in Richtung nach vorn. Die Zeitlichkeit ist der eigentliche Sinn der Wiederholung.“ Die Zeitlichkeit gibt die Struktur vor. Im Augenblick der Wiederholung, im Gegenwärtigen, zeigt sich der Unter schied zum Wiederholten. Der Wiederholung wird die Differenz entlockt: die Hervorbringung des Verschiedenen. Im Handeln einen Unterschied machend, wird die Wiederholung schöpferisch: andere Möglichkeiten, Vieles wird denkbar, sinnlich erfahrbar, wird ästhetische Erkenntnis; oder wie Kierkegaard (1843) sagt: „Wiederholung ist und bleibt in der Transzendenz.“   Die Beachtung oder Betonung des Unterschieds nimmt in Begriffen wie Zersplitterung, Fragment, Disharmonie oder Dissonanz die Gestalt des Bösen an, die Lilien, Symbol der Reinheit, werden zur Peitsche. Deleuze sagt (1968): „Denken macht den Unterschied, die Differenz aber ist das Ungeheuer.“   Cindy Sherman, untitled, 1993, #276   Differenz wird verflucht neben dem Ideal von Einheit/Gleichheit/ Harmonie/Schönheit; das Wahre, Gute und Schöne ist vom Hässlichen, Disharmonischen, von allem sogenannten Bösen, feindlich abgegrenzt. Die Betonung der Differenz als Projekt der Philosophie ist der Versuch, Differenz von ihrem Fluch zu befreien und stattdessen als Positivum zu setzen, den Unterschied nicht als Mangel, sondern vielmehr als Gewinn zu begreifen und sensibel damit umzugehen. Deleuze sagt (1968): „Wiederholen heisst sich verhalten, allerdings im Verhalten zu etwas Einzigartigem oder Singulären, das mit nichts anderem ähnlich oder adäquat ist. Die Spiegelungen, Echos, Doppelgänger gehören nicht zum Bereich der Ähnlichkeit oder der Äquivalenz; und sowenig echte Zwillinge einander ersetzen können, so wenig kann eine Seele tauschen.“ Diane Arbus, People who think they look like other people, 1969   Abgeleitet von Wahrheit, Harmonie und Schönheit (Vollkommenheit) bestimmt die Moderne die Ganzheitserfahrung einer Person als Identität, was einen Dauerzustand des Immergleichen meint und die Person auf ein Bild von sich festlegt: Ich bin immer Carmen; Ich denke, also bin ich. Dauer als Ideal zu setzen, verneint Bewegung und Differenz als positive Möglichkeiten von Erfahrung und bindet an eine Sehnsucht, die Ent-Täuschung produziert. Diese Konstruktion von Identität wird mit der Postmoderne de-konstruiert, als Trugbild gezeigt: Festlegung wird zur Farce oder zum politischen Kalkül. Ein Kunstwerk kann nicht durch objektive Bezugnahmen auf ontologische Wesenheiten bestimmt werden, ein Werk konstituiert sich im Umgang. Zum Beispiel die Appropriation. Die Nachahmung – oder imitative Strategie – wird produktives Verfahren der Anverwandlung, Aneignung, Besitzergreifung. Gertrude Stein spricht vom menschlichen Geist als Kidnapping (1935). Und dieses Prinzip in den Künsten angewandet, zeigt: Kunst ist subjektive Interpretation, Täuschung, Übersetzung, also eine Konstruktion. Die Wertbildungen basieren auf Bedeutungsbehauptungen, und in den Geschmacksnormen realisieren sich Machtstrategien.   Sherrie Levine, Fountaine, After Duchamp, 1991   Wenn Duchamp (1917) sagt: „Auswählen ist eine Art des Schaffens“, – seine Readymades folgen dieser Strategie – so nimmt Sherrie Levine diesen Satz ernst, mit ihren Readymades zeigt sie Kunst als Quelle der Kunst. Eine Kopie, als Kunst konzipiert, stellt also die Frage: Was ist ein Original? Und die Antwort lautet: ein Mythos. Und so kann Sherrie Levine (1993) sagen: „Die alten Griechen glaubten, dass sich das Wirken eines geordneten Kosmos in der Musik spiegelt. Es herrschte die Vorstellung, dass durch die Bewegung der Sterne und Planeten am Himmel Musik entstehe. Beim Betrachten der Ausstellung werden Sie sich, wie ich hoffe, an diese Vorstellung erinnern und vielleicht an das Schweigen von John Cage ebenso wie an Marcel Duchamps Ikonoklasmus und Constantin Brancusis Idealismus.“ Eine richtige Imitation zeigen nur die Doppelgänger in ihrer Spiegelsehnsucht, sie betonen die Ähnlichkeit. In der Identifikation mit verinnerlichten Bildern wiederholen sich die Bilder. Das Double gibt sein Geheimnis preis: Die Wiederholung setzt nicht dasselbe oder Ähnliches voraus, sondern erzeugt im Gegenteil selbst das einzige Selbe dessen, was sich unterscheidet, und die einzige Ähnlichkeit des Verschiedenen. Die Differenz gibt zu sehen, die Wiederholung zu sprechen.   Anselm Kiefer, Besetzungen, 1969   Die Wiederholung von Bildern über Weiblichkeit oder Männlichkeit verweisen auf ihre Konstruiertheit. Körper werden zu kulturellen Effekten: zu Kopien ohne Original. Der Körper kann jedes mögliche Körperbild inszenieren, ohne dass die Darstellung eindeutig als Ausdruck eines natürlichen Geschlechts zu verstehen wäre. Eine Kausalität zwischen dem anatomischen Körper und dem sozialen Geschlecht lässt sich mithin als Fiktion beschreiben, das heisst, jede Wiederholung etablierter Geschlechternormen ist nicht deren identische Reproduktion, sondern deren Transformation. Judith Butler sagt (1991): „Freilich kann der Verlust des Normalitätsgefühls selbst zum Anlass des Gelächters werden, besonders wenn sich das oder das als Kopie erweist, und zwar als eine unvermeidlich verfehlte, ein Ideal, das niemand verkörpern kann. Die Parodie an sich ist nicht subversiv. Also muss es eine Möglichkeit geben zu verstehen, wodurch bestimmte Formen parodistischer Wiederholung wirklich störend bzw. wahrhaftig verstörend wirken und welche Wiederholungen dagegen gezähmt sind und erneut als Instrumente der kulturellen Hegemonie in Umlauf gebracht werden.“   Catherine Opie, Bernie, 1993   Phänomenologischer Kleidertausch wird zur parodistischen Wiederholung und Subversion der Einzelnen, Geschlecht als kulturellen Effekt vorzuführen, und markiert gleichzeitig eine Subjektposition: In der Wiederholung lernt die Form das Leben, das, was es heisst, in der Gegenwart die Vergangenheit zur wiederkommenden Zukunft zu machen. Wiederholung wird zur „Erinnerung in Richtung nach vorn.“ Nur, sie treibt nicht das Eine voran, auf Eines zu, zum Einen hin als Subjekt und Objekt; sie legt nicht fest, sondern eröffnet Dimension und Vielfalt. Deleuze sagt (1968): „In einer Kunst der Folgen und des Abstiegs, der Schwebe und des Falls muss die Tatsache, dass Wiederholung in dieser Schwebe und in jedem Aufstieg auftaucht, so begriffen werden als ob sich die Existenz selbst erneuern würde, sobald sie nicht mehr dem Zwang der Gesetze folgt.“ Die Wiederholung kann Sache des Humors werden und der Ironie: Sie ist ihrer Natur nach Überschreitung, Ausnahme. Und so behauptet sie immer eine Singularität gegen die dem Gesetz unterworfenen Allgemeinheiten.   Guerilla Girls, New York, 1990ff.   Eine ganz besondere Spielart der Wiederholung ist das erneute Holen im Sinne von Klauen, was allgemein im Verborgenen stattfindet und nicht laut gesagt wird; genaugenommen entspricht dieses Wiederholen der Appropriation, es kommt aber meist nicht als Artefakt daher, vielleicht als Subversion, vielleicht als notwendiges Übel. Als Geste der Manie des wieder Holens zeigt es, wie Zwang und Drang zur Aneignung eigentümlich fortschreiben, was alle wissen: Personen, schreibende, malende, filmende, musizierende und alle anderen eignen sich Gedanken und Ideen an, machen Dichtungen, verdichten und verlieren dabei die Anführungszeichen. Wer von Wahrheit spricht, simuliert. Und Simulieren heisst, ein Wagnis eingehen, als wäre es – ganz appropriativ – das Schönste. Drum: Klaut Ideen und verschenkt die besten!

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