Marion Strunk
GAME ON
Puppen im Spiel, einfach und digital: Olimpia, Lara Croft und Eva Wohlgemuth
Künstliche Wesen haben Tradition: Golems, Homunkuli, Stars, Androide, Cyborgs, Avatare oder die Klons. Sie alle werden zu Darstellungen oder Bildern, die aus dem geformt sind, was Menschen als ihre Kultur verstehen. Mit ihnen werden die Diskurse über Liebe, Moral, Zeit und Gesetz, über Körper, Subjekt, Gender eingeschrieben oder fortgeschrieben. Wie behauptet werden kann, dass es den Mythos von künstlichen Menschen gibt, seit es die Erzählung gibt, können die Bilder, statische, bewegte und virtuelle, durch die etwas Unsichtbares, Abwesendes erblickt wird, selbst zu Mythen werden.
Die bekannteste Figur des Künstlichen ist die Puppe. Das erste geklonte Wesen, ein Schaf, heisst Dolly.
Die Puppe – mehr als zweitausend Jahre alt – ist als materiell und taktil erfahrbarer Kunstkörper Bild geworden, also mehr als das, was sie ist: Ein Wesen, das Seele, Lebendigkeit und Körperlichkeit bekommt, eine Existenzform, die Schutz und Heil bietet, eine spirituelle Aufladung, die als Ideal und Idol, als Repräsentation und Transzendenz und noch viel mehr erscheint. Die neuen, digitalen Puppen auf den Bildschirmen der Computer haben sich von den Leibern befreit, die sie tragen. Sie sind Information geworden, mit einem sanften Mausklick animierbar. Künstlichkeit wird zum vielversprechenden Faszinosum.
Der Romantiker E.T.A. Hoffmann hatte seine Geschichte von der Puppe, der Automate Olimpia, in einer Nacht aufgeschrieben, am 16.11.1815, und als die bekannte Erzählung ‚Der Sandmann‘ herausgegeben. Das Taschenperspektiv, ein Fernrohr, war erfunden worden mit dem der sehnsüchtige Nathanael eine leblose Puppe am Fenster der gegenüberliegenden Strassenseite entdeckt und sie in seinem Liebesblick zur ‚himmlischen Frau‘ machte, an der sich sein ganzes Sein spiegeln sollte. Olimpia seufzte. „Ach, Ach!“ und diese Worte erschienen ihm als Liebesglück. „Er lebte nur für Olimpia, sass stundenlang bei ihr und fantasierte von seiner Liebe, von zum Leben erglühter Sympathie, von psychischer Wahlverwandtschaft (…), welches alles Olimpia mit grosser Andacht anhörte“, schreibt Hoffmann. Auf einem Tanzfest sieht er sie wieder, und dort, aus dem Off des Fernrohrs geholt, verstellt ihm die Nähe den Blick. Er hält ihre ‚eiskalte Hand‘, küsst ihren kalten Mund, und „in dem Kuss schienen die Lippen zum Leben zu erwarmen „, heisst es. Und wieder antwortet Olimpia “ Ach – Ach!“. Die Worte werden ihm zu Zeichen wahrhafter Zuneigung und vollkommenen Verstehens. Andere bemerkten, Olimpias Schritte seien sonderbar, jede Bewegung schiene durch den Gang eines aufgezogenen Räderwerkes bedingt, ihr Spiel, ihr Singen habe den unangenehm richtigen geistlosen Takt der singenden Maschine und ebenso ihr Tanz.
„Aber viele hochzuverehrende Herren beunruhigten sich nicht dabei; die Geschichte mit dem Automat hatte tief in ihrer Seele Wurzel gefasst und es schlich sich in der Tat abscheuliches Misstrauen gegen menschliche Figuren ein. Um nun ganz überzeugt zu werden, dass man keine Holzpuppe liebe, wurde von mehreren Liebhabern verlangt, dass die Geliebte etwas taktlos singe und tanze, dass sie beim Vorlesen sticke, stricke, mit dem Möpschen spiele usw. vor allen Dingen aber, dass sie nicht bloss höre, sondern auch manchmal in der Art spreche, dass dieses Sprechen wirklich ein Denken und Empfinden voraussetze. Das Liebesbündnis vieler wurde fester und dabei anmutiger, andere dagegen gingen leise auseinander,“ schreibt Hoffmann. Nathanael endet im Wahnsinn, zerrissen an seiner Liebe zu Olimpia. Er stürzt sich vom Turm.
Für Sigmund Freud wurde diese Erzählung bekannterweise zum Material, Grundbegriffe der Psychoanalyse zu entwickeln, im besonderen den Begriff des Unheimlichen und den des Narzissmus. Durch ihn wurde Olimpia in psychologischen Fachkreisen berühmt und, lösgelöst vom Text, zur Veranschaulichung idealisierender Verliebtheit, dem Verliebtsein in die Liebe, in der es das Du nicht gibt, nur das Ich und sein Bild im Spiegel, den es im Gegenüber sieht.
Mitte des 20. Jahrhunderts zeigt Fellini diesen Stoff wieder, diesmal als Film: Casanova. (Il Casanova di Frederico Fellini, 35 mm, Farbe, 170 Min.,1976, Donald Sutherland spielt die Titelrolle). Fellini dekonstruiert das Männlichkeitsbild des unersättlichen Liebhabers und Verführers, des Süchtigen nach Liebeslust, sein Casanova wird eine Liebesmaschine, ein grotesker Kolbenapparat, der anspringt, sobald eine Frau in seiner Nähe ist. Ein Selbstbetrüger, der seine Einbildungen nicht durchschaut. Sein letzter Exess mit der Frau gilt der Puppe. Fellini beginnt diese Sequenz mit dem Bild eines verlassenen Speisesaals: schmutzige Teller, halbvolle Gläser, weggerückte Stühle. Mittendrin die Puppe. Er nähert sich ihr und „nimmt ihr aus den starren Fingern einen Becher, stellt ihn auf den Tisch und betrachtet sie mit begehrlicher Neugier. (…) Casanova streckt die Hand nach ihrem Busen, kaum hat er ihn berührt, gibt ihm die Puppe eine Ohrfeige. Casanova springt verblüfft zurück „, so verlangt es das Drehbuch. Er drückt auf ein paar Knöpfe und die Musik einer Spieluhr ist zu hören und gibt das Spiel zu erkennen. „Du erregst mich mit Deinem geheimnisvollen Schweigen“, sagt er. Im Liebesakt beginnt die Puppe zu zittern, und wir sehen: Es ist nicht ihr Zittern, es ist Casanova, der es auf sie überträgt. „Dein Name ist Liebe. Verstehst Du. Ich suche Dich seit immer schon. Schönes Kind. Mutter. Hure. Geliebte. Mein böser, kleiner Teufel. Liebste, gib dich mir hin! Komm, Süsses!“
Der verliebte Nathanael hatte nicht bemerkt, dass er keine Frau aus ‚Fleisch und Blut‘ verehrte. Fellini denkt diese Verkennung zu Ende: das Liebesspiel mit der Automate. Casanova sieht die Puppe, sie ist das Bild für die Schönheit und für die Frau. Das Bild fängt seine Aufmerksamkeit ein. Er inszeniert die Obsession, die auch eine Erzählung über die Gewalt des Zum-Bilde-machens wird: Aneignung, Inbesitznahme, Ausschnitt und Zuschnitt. Der Blick hat seine Trophäe. Die Erotik ihren Fetisch. Die Puppenfrau wird durch ihn lebendig, ist Abbild und Nachbild. Urbild kann sie nicht sein.
Die letzte Einstellung zeigt die Puppe mit hochgestellten Armen und Beinen, arrangiert und zurechtgerückt wie ein leeres Gestell. Casanova pudert sich leicht das Gesicht. Im Spiegelbild sieht er den Spiegel nicht, er sieht nur sich. Wir, die Zuschauenden, sehen den Spiegel, der defekt ist wie sein Spiegelbild. Auch Casanova wird wie Nathanael wahnsinnig, allerdings in einem langen Leben.
Warum beide Helden wahnsinnig werden, kann mit dem Subjektverständnis erklärt werden, dass sich mit diesen Männlichkeitsbildern vermittelt: Entfremdung, Leere, Unerfülltheit, Macht, Gewalt. Nathanael wird seine Geschichte vom Sandmann nicht los, die als traumatische Kindheitserfahrung unaufgelöst weiter wirkt und ihn an selbstzerstörerische Idealisierungen bindet. Casanova erscheint in seinen Mechanismen versteinert, eine Maske, selbst Puppe geworden, eine Figur, die das erbärmliche ihrer Existenz verdrängt und am Ende tief fällt, bis „aus dem Popanz ein bejammenswerter Clown wird“, wie Fellini sagt. Ein Abenteurer, der sich Illusionen hingibt, um zu überleben, der von seinem Ruf, ein virtuoser Liebhaber zu sein, eingeholt wird, ohne ihn erfüllt zu haben. Langsam den Glanz seiner stolzen Männlichkeit verlierend, bleibt am Ende im Alter nur eine grosse Traurigkeit.
Beide sind Melancholiker, zerbrochen am Verlust der Vollendung und am Zerfall der Allmacht. Die Frauen kommen in ihren Träumen nicht vor. In der Erzählungen sind es die Puppen, Inszenierungen von Bildern über die Frau, mit denen der weibliche Körper zur Maschine wird, und die über ihre phantasmatische Bedeutung hinaus mit jener ’symbolischen Leerstelle‘ in Bezug gesetzt sind, die – in der psychoanalytischen Deutung – das Unbewussste mit der Fetischbildung in Berührung bringt.
Die Puppe ersetzt den Körper, sie nimmt ihm das Lebendige des Dialogischen weg, demonstriert seine Tötung, demontiert ihn. Gleichzeitig bringt sie ihn hervor, simuliert ihn und gibt ihm etwas hinzu, indem sie ihn in der Nachahmung und Simulation verdoppelt. Die Puppe ist die Negation des Körpers, wenn sie zeigt, dass der Körper wie eine Puppe funktioniert, obwohl er keiner ist. Sie kann das Ideal des Körpers vorstellen – von der Venus bis zum Cyborg –, mehr noch, sie vermag es, den Körper als perfekten Klon zu überholen. „Die zwischen Antike, Moderne und Postmoderne in Szene gesetzte Suggestion der Puppe fasziniert. Ob ihr vom Menschen mitgespielt wird und sie sich entpuppt, oder ob sie es ist, die dem Menschen mitspielt und er sich verpuppt. Die Puppe mimt die Mimikry und umgekehrt. Der Mensch demaskiert an ihr, was er an sich maskiert. Er trägt die Larve aus der sie entschlüpfen wird“, sagt Gertrud Treusch-Dieter. Die Puppe hat die Sicht zu drehen, dass das Getötete als das Lebendige erscheint.
Digitale Puppen schreiben weiter und führen fort, was als Projektion benannt ist, und sie zeigen wie die Puppe in der Puppe in der Puppe die Wiederkehr der Vorstellungen. Zum Beispiel war im TV (ca Oktober 2000) ein Bericht über das Projekt ‚Kyoko Date‘ zu sehen. Der Produzent, Yoshitaka Hori, führte aus: „Es war unser Ziel, ein ideales Mädchen zu schaffen.“ Und sein Gestalter, Toshihiro Aramaki, sagte: „Ich als Macher kenne dieses Wesen seit sie Fiktion ist, nämlich als Punkte und Linien.“ Das heisst auch mit Haut und Haar. Pygmalion lässt grüssen: Galatea, seine grosse Liebe, die ideale Geliebte, die ideale Frau, die er lieben konnte, hatte er geformt. Aphrodite hatte ihr Leben eingehaucht.
Die neue Technik bringt nichts Neues hervor, sie muss nur funktionieren. Ist der Computer Spielzeug, setzt sich das alte Game fort, Dinge und Figuren zu erschaffen, mit denen alle umgehen können und so tun als ob sie lebendig wären wie im richtigen Leben. Im digitalen Raum zählt nur der Code, die Information, und nicht das richtige Leben. Das Double ist aber kein Spiegel mehr, die Dialektik des Spiegels geht in den Typus des Seriellen über, der unendlichen Reproduktion und Vielheit, der Varietät und des Crossovers, ungeachtet eines zu reflektierenden Realen. Im Gegenteil: Das Konstrukt zeigt sich pur.
„Eine Definition des Realen kann darin bestehen, das Reale als das zu bezeichnen, wovon man eine Reproduktion machen kann“, sagt Baudrillard. Während die klassische Repräsentation Transskription, Interpretation und Kommentar meint, wird in der digitalen Simulation das Reale das zum Hyperrealen. Die neuen, digitalen Bilder einer virtuellen Realität basieren auf numerischen Codes, auf Algorhitmen, sie unterstellen keine Realität mehr, die sie optisch repräsentieren, sie simulieren elektronisch eine eigene, nicht vorausgesetzte Realität. indem sie Code werden, sind sie genaugenommen keine Bilder mehr, weder Erinnerung noch Vergleich, weder Illusion noch Täuschung. Der Blick auf sie ist mehr kontrollierende Betrachtung als kontemplative Einsicht.
„Das Hyperreale ist nicht jenseits der Repräsentation, weil es vollständig in der Simulation ist. Das Kreisen der Repräsentation dreht sich dabei durch, aber in einer implosiven Verrücktheit, die, weit davon entfernt, exzentrisch zu sein, mit dem Zentrum kokettiert, mit einer eigenen unbegrenzten Wiederholung. Analog zum inneren Distanzierungseffekt im Traum – bei dem man sich sagt, dass man träumt, was aber nur eine Zensur und Fortsetzung des Traumes ist – bildet der Hyperrealismus einen integrierenden Bestandteil der codierten Realität, die er perpetuiert und an der er nichts ändert. Tatsächlich muss man den Hyperrealismus gerade umgekehrt interpretieren: die Realität selbst ist heute hyperrealistisch. (…) Es gibt keine Fiktion mehr, der sich das Leben entgegenstellen könnte, die Realität ist zum Spiel der Realität übergegangen“, so Jean Baudrillard.
In der Moderne ist die Puppe eine Figur der Differenz. Sie steht im Unterschied zu ihrem Vorbild herum wie ein Standbild. Die immateriellen Puppen bewegen sich im Raum und überschreiten die Körpergrenze, in dem sie diese auflösen. Waren die alten Simulakren des Analogen durchschaubar, weil die Vorlage mit der Imitation nicht verwechselt werden konnte, also der Unterschied von Original und Kopie betont wurde, und das Vergnügen darin bestand, etwas „Natürliches“ in dem zu entdecken, was künstlich war, herrscht heute die ästhetische Faszination durch die Antizipation und Immanenz des Codes.
Ausserhalb des Computers ist Chaos. Die Robotic soll Ordnung bringen: Alles berechenbar machen! Computer erschaffen, die Bewusstsein und Gefühle haben! Die fleischliche Hülle ist sterblich. Unsterblichkeit! Die digitale Puppe, nicht aus ‚Fleisch und Blut‘, zeigt die Spur. Sie gibt das Bild, das ihr gegeben wird.
Die Frage ist: Wie entstehen Bilder und welche Kombinationen lassen sich mit ihnen herstellen? Und nicht: Was bedeuten sie? Oder: Existiert dies wirklich? Der Blick geht von einem zu anderen, die Wahrnehmung folgt der Bewegung des Hin und Her. Im Unterschied zu den analogen Bildern, die angeschaut werden, um an ihnen den Unterschied zu erkennen, sind digitale Bilder als Information nur das Bild, das zeigt, was es ist: Künstlichkeit, Konstruktion. Die Maschine produziert die Puppen von innen aus ihrer geordneten, elektronischen Welt auf den Bildschirm mit dem paradoxen Bedürfnis, Leben zu schaffen, das als Leben nicht weitergeht.
Zum Beispiel Lara Croft, das berühmteste digitale Püppchen des Computergames Tomb Raider: ein Bodysampling aus Barbie, Brigit Bardot und Claudia Schiffer, Indiana Jones und James Bond. Im 3-D Polygonen Format konstruiert vom Designer Team bei Eidos/Core 1996 in London frei nach dem Motto: „Give the consumers what they want!“ Die Masse will Mischwesen aus traditioneller Männlichkeit und Weiblichkeit, androgyne Wesen. Lara ist ‚a sexy women‘ und kämpferisch wie ein Mann, als Heldin ein Held, mit den „Waffen einer Frau“ und den Waffen in den Händen: Pistolen, Granatwerfer, Armbrust, Lasergewehre usw. Lara in Drag. Einen Bart bekam sie nachträglich per Hacking. Lara ist eine Abenteuerin, sie sucht Schätze und deckt Geheimnisse auf bis in die Tiefen ägyptischer Grabkammern. Remake of the Romantik: Sehsucht nach Vollkommenheit und Grenzüberschreitung. Das Androgyne scheint den Dualismus von Sex und Gender aufzuheben und aus der Mischung der Gegensätze etwas Neues zu gestalten. Das Neue zeigt aber schnell hinter der Maske sein altes Gesicht. Das Püppchen ist eine Kampfmaschine und ein ‚tough girl‘, ‚bad girl‘ kann sie nicht werden. In einer Welt, die sie mit reissenden Tigern, Schakalen, Skorpionen und grausamsten Fallen konfrontiert, denen sie alle zum Opfer fallen würde, wären da nicht die rettenden Spieler und Spielerinnen (es seien 71% Spieler und 29% Spielerinnen), kann sie nur reagieren und sich ganz in die sie umsorgenden Hände geben. Die Spielenden bewahren sie vor den möglichen schrecklichen Toden, indem sie den richtigen Moment erwischen und Lara die Waffen ziehen lassen. Im Visier der Kamera, der sogenannten first-person-Perspektive – in der Sprache der Games ‚egoshooter‘ genannt –, läuft Lara durch das Spiel, gelenkt von den Regeln des Spiels. Der Weg, die Suche scheint ihr das Wichtigste. Im Blick der Spielenden verschmelzt sie mit ihnen symbiotisch und in totaler Identifikation. Im Unterschied zum Film, dem die Zuschauenden in seiner (meist narrativen) Struktur nur folgen können, zeigt sich mit den Möglichkeiten des Computerspiels ein direktes Eingreifen in die Handlung, um so die Erzählung beeinflussen zu können. Schlimmstenfalls ist Lara mit einem leisen Aufschrei ihren Todesarten verfallen, liegt vielleicht aufgespiesst auf Pfählen da oder hat sich das Genick bei einem Sprung vom Felsen gebrochen. Das Spiel kann wieder von vorn beginnen.
Lara entwickelt ihr Tun in der Verantwortung der Spielenden für sie. Nur durch die Spielenden werden Raum und Zeit in einen kohärenten Zusammenhang gebracht, und sie sind es, die eine Sorge um die Sterblichkeit der Figur entwickeln. Der Spielcharakter, das Immer-wieder, macht aus den Erfahrungen Gewohnheit. Die Unterschiede in den Erfahrungen werden durch den seriellen Charakter der Wiederholung ausgeschaltet, sie lösen sich in der Bewegung vom Selbem zum Gleichen, in der Repetition und Stereotypie auf. Die Sichtbarkeit des Künstlichen bestätigt sich im Immergleichen. Auch die Identifikation, die über die Spielhandlung erzeugt wird, bleibt die Gleiche, wobei diese Reduktion und Vermeidung von Brüchen das Künstliche der Figur verstärkt und ihre Idealisierung hervorbringt. Das Faszinosum besteht gerade darin, das Bild zu sehen und nicht die Widersprüchlichkeit.
Die Kamera unterstützt die Idealisierung durch ihre Distanz. Lara wird immer als die visuelle Attraktion inszeniert, die im virtuellen Mittelpunkt der Handlung bleibt. Ihre Bewegungen antworten den Tastbewegungen der Spielenden. Das Idol gewordene Phantasma zeigt das Begehren nach Homogenität. Andere Verfahren etablieren Lara als autonome Person. Es gibt Momente im Spiel, in denen Lara wie von selbst handelt, wenn ihre Bewegungen nicht über die Kamera vermittelt werden, sondern über einen Schnitt, der die Situation in der Totale zeigt und den Einfluss der Spielenden ausschaltet und sie zu Zuschauenden macht. Sie sehen dann mehr als die Figur. Hat Lara gegenüber der Kamera manchmal eine gewisse Unabhängigkeit, sind es doch immer wieder die Spielenden, die das Geschehen weiterentwickeln. Lara ist selbst keine Sehende, ihre Angreifer und die Gefahren werden von den Spielenden wahrgenommen, nicht von ihr, was die Bindung an sie vertieft. Lara helfen, ihr zur Seite stehen, sie nicht sterben lassen, Verantwortung und Kontrolle zu übernehmen, mit ihr durch die Abenteuer gehen und gegen den Rest der Welt fighten – alles das bewirkt eine Verlebendigung der virtuellen Figur und macht ihren besonderen Reiz aus. Lara lebt allein, mit den Spielenden zusammen ist sie in der Identifikation deren Verlängerung in den Cyberraum, eine Prothese oder auch ein Cyborg. Der trainierte Körper ist Mittel, ihre Mission zu bewältigen. Als Körper bleibt Lara ohne Geschlecht, ihre betont weiblichen Reize setzt sie nicht zur Verführung anderer ein, sie scheinen nur für die Augen der Spielenden bestimmt.
Diese Entgeschlechtlichung betrifft auch die Spielenden, die User, deren Körper vor dem Bild und ihren Wahrnehmungen verschwindet. Die User entwickeln eine platonische, idealisierte Liebe und persönliche Beziehung zu Lara, mit der sie gleichzeitig wissen, „she is not really real“, was eines der wichtigen Momente der Faszination ausmacht: das Bild der Puppe. Und das Bild der Romantik: die romantische Liebe. Die romantische Liebe ist immer schon Kunst, allerdings eine, die als Liebe nicht weitergeht. Eine Konstruktion. Eine phantastische Rettung aus der Zeit. Die Trennung von Kunst und Leben ist ihre Bedingung. Der Spaltung folgt die Erhöhung des reinen, geistigen Begehrens – nichts für die Leiber. Im Blick aufgenommen, hebt die Liebe ihre Entfesselung auf und geht auf Distanz. Die Differenzen der Liebenden ausblendend, flüchtet sie sich in entfernte Höhen. Das Lebendige vermeidend, zieht sie sich in den Blick zurück, friert Bewegung ein wie das Klick des Fotoapparates die Aufnahme. Eingeschrieben im kollektiven Gedächtnis, wird die romantische Liebe ein Medium der Erinnerung an Liebe. Als romantische Erzählung bleibt sie altmodisch verstrickt in den Ablauf von Anfang und Ende, das der Tod ist. Ein Schwindel aus Vereinigung und Trennung, aus Vollkommenheit und Erlösungssehnsucht. Beide, Mann und Frau, beanspruchen den begehrenden Blick. Diese Gleichwertigkeit hebt sich aber gleich wieder auf in der Verschmelzung, dem Einswerden mit dem Anderen, in der Auflösung der Unterschiede, masslos und grenzenlos. Ist das totale Erlebnis im Blick, schweigen die Worte, die Sprache wird stillgestellt. Auch das Bild, das der Blick imaginiert, steht still. Ein Standbild der Liebe. In der Welt ist kein Platz für sie, vielleicht ebensowenig in ihrem Inneren, und deshalb wird sie in eine Bewegung von Trennung, Rettung und Wiedervereinigung gerissen, an deren Ende der Tod steht. Im Spiel IV ist Lara verschwunden oder verschollen, man weiss nicht, ob und wie sie gestorben ist. Spiel V, die Chronik, beginnt an ihrem Grabe und entwickelt sich als Rückblende.
Lara ist für alle da. Geschlechtlichkeit spielt im platonischen Spiel keine Rolle. Andererseits hat sie in ihrer Androgynität lediglich das vermischt, was immer schon als männlich und weiblich konnontiert war. Sie wird zur Kopie ohne Original und setzt somit die alten Ein- und Zuschreibungen fort: Sie nimmt als Frau das männliche Bild des unabhängigen, aktiven und überlegenen Helden auf. Indem sie es ungebrochen nachahmt, reproduziert und bestätigt sie es. Die Konstruiertheit männlicher Normen wird präsent, da sie auch für (biologisch) weibliche Subjekte in Anspruch genommen werden können, gleichzeitig werden sie in der androgynen Mischung wieder manifest. Das hat den Effekt, Lara als positive weibliche Identifikationsfigur zu sehen, wie Angela McRobbin sagt. Aber diese Verführung erweist sich als Falle. Die Faszination der Kunstfrau besteht ja darin, dass sie eben nicht in dieser Welt ist, d.h. kein ‚Fleisch und Blut‘. Als virtuelle Figur ist Lara unsterblich, ideal und universal wie es nur die Medienwelt ermöglicht. Die Widersprüchlichkeiten der wirklichen Welt bleiben ausserhalb und hinter dem Traum zurück. Eine weibliche Figur eignet sich für diesen Vorgang besonders gut, da sie in diesen Konstruktionen nicht als individuelle Person gesetzt ist, sondern als Icon. Also eine spiegelbildliche Bestätigung, eine universale Spekulation und somit ein universales Medium, das die Unterschiede zu nivellieren vermag. Es ist nur wichtig, dass sie als ideales Bild wahrgenommen werden kann und Oberfläche bleibt und kein Gegenüber wird, das in widerspenstigen Praktiken das ideale Bild stören könnte wie ein ‚bad girl‘.
Lara ist ein Star geworden. Einerseits gehört Tomb Raider zu den meistverkauften Computerspielen, andererseits ist Lara auch ausserhalb des Computers ein Star, nämlich als Ikone der Popkultur. Sie ist in allen Medien wiederzufinden: Die Werbung hat sie adaptiert (West-Zigarette), eine Band (‚Die Ärzte‘) verwendet sie in ihrem Videoclip, sie erschien auf 200 Covers von Magazinen, Designer entwerfen Kleider für sie (Alexander McQueen, Cucci, Jean Colonna), die Verfilmung von Tomb Raider hat mit Angelina Jolie als Lara begonnen und soll im Sommer 2001 in die Kinos kommen.
Eine virtuelle Figur als Star ist der bessere Star. Immer jung, unversehrt von den Kämpfen, vor allem immer gleich und berechenbar, kein persönliches oder biologisches Aber zerstört das Bild. Lara Croft setzt sich keine Wirklichkeit entgegen. Ihr Körper bleibt in den Massen, die ihr gegeben sind. So wird sie zur verlässlichen Grösse und nie enttäuschenden Gefährtin.
Die Realwerdung der idealen Figur durch leibliche Doubles ändert daran nichts, sie stellen die Konstruktion des virtuellen Körpers geradezu heraus, ihre Virtualität legt die Diskursivität des Körpers frei. Die virtuellen Models werden nicht ins Verhältnis zu einer Wirklichkeit gesetzt, sie zeigen nicht die Unterschiede zwischen Image und Person wie die leiblichen Stars. Für sie wird bestenfalls ein Chatroom zur Frage des Verhältnisses Image zu Image eröffnet. (Zum Beispiel die Frage: Who’s man enough for Lara? Der virtuelle Gewinner ist James Bond, jener der neuesten Serien.) Im Design des virtuellen Püppchens findet sich die symbolische Ordnung als Programm wieder. Lara ist ein ‚good girl‘.
Künstlichkeit und Kunst verbinden sich, wenn die Absicht besteht, Kunst als Konstruktion zu thematisieren. Eva Wohlgemuth, eine Künstlerin aus Österreich, arbeitet mit dem Medium Computer. Sie scannt sich ein, d.h., der Scanner liest ihren Körper und übersetzt ihn in das Medium: evasys. personal information 1.0, in VRML-Form abrufbar unter http://www.thing.at/bodyscan. Die Aktion wurde im Februar 1997 in Monterey, Kalifornien, durchgeführt. Das Ergebnis ist ein Datenset (The Feminine Dataset), das mit 285000 Polygonen die Körperoberfläche zunächst in ein Wireframe übersetzt, von dem aus die Akteurin und alle anderen im virtuellen Raum Operationen vornehmen können. ”Ich existiere in Datenform momentan am Hauptspeicher von Cyberware, Monterey, Kalifornien, auf einer ZIP-Diskette bei mir auf der Festplatte meiner beiden Computer”, also als digitaler Datenkörper und Körperabdruck, dessen Substrat ein Plastikinterface ist, das durch Rendering eines Wireframes konstruiert wurde, dreidimensional.
In einer Computeranimation wird diese Oberfläche interaktiv begehbar, beispielsweise durch Zoomen oder Anklicken von speziellen Punkten, tätowierten Körperpunkten, die abgesteckt werden können wie auf einer Karte. Der individuelle Körper wird in seiner Übersetzung in den virtuellen Raum verfügbar und manipulierbar. Über die Punkte wird aber auch die Stimme der ‚evasys‘ hörbar, die aus dem Off Informationen aus dem Leben gibt: „What I like“, „How I spend my day“, „Places and countries I have seen“. Die interaktive Körperwanderung wirkt nur scheinbar wie ein Zugriff auf ihren Körper, der Kunstkörper schafft die Distanz im Klick der Berührung und im Anblick der Künstlichkeit seiner Oberfläche; die Off-Stimme bricht mit den Vorstellungen gegenüber einem nackten Körper im Cyberspace zusätzlich mit alltäglichen, harmlosen Befindlichkeiten und ruiniert die Erwartungen. Im Virtuellen fällt der Körper aus dem Bild, weil kein Ort der Bestimmung mehr vorgesehen ist, aber diese Doppelgängerin legt mit den Punkten Momente fest und bestimmt die akustische Information. Der Unterbruch im virtuellen Treiben setzt über das Ohr ein Gegenüber ins Bild und stört den Ablauf der Simulation, denn die Puppe spricht. Das Simulieren, was nur meint, etwas auszuleben, zeigt: Ein Gegenüber wird immer zur Oberfläche für Projektionen. Die ‚echten‘ Partner stellen möglicherweise nur ein Minimum an Materialität dar, um die Phantasien auszuleben, und Monologe in den Begegnungen können anscheinend nur durch Aufmerksamkeit und Interesse am Unterschied, den die andere Person macht, zu Dialogen werden, was mit dem Wort ‚interaktiv‘ im Grunde genommen gemeint sein kann.
Der digitalisierte Körper sprengt die Hautgrenze und erweitert die Möglichkeiten des Körpers entlang der Schnittstelle. Mit der Topographie der Punkte können die Einschreibungen auf den Körper markiert werden, die die Simulation einprägt, und als projizierte, kulturelle Lokalisationen erfahrbar macht. Dieser Kunstkörper verführt nicht zu Idealisierung und Illusionierung, sondern zum Sehen, was er ist: eine Fläche für Projektionen wie die Leinwand.
In der Interaktion weiss die Akteurin nicht, was ihr Körperbild für die anderen ist. Die Möglichkeit, ein totales Werkzeug für die anderen zu werden, wird durch die Dekonstruktion der unbegrenzten Möglichkeiten gestört und somit die Entscheidungsfreiheit als Mythos vorgeführt, da die Wahl nur in einem bestimmten Menu von Alternativen stattfinden kann. Die unendliche Vervielfältigung und Multiplikation des endlos reproduzierbaren Digitalkörpers macht seine fatale Ausgesetztheit, wirklich weltweit wirksam, deutlich. Der Körper ist Schauplatz und zugleich leere Oberfläche, weiss wie die schneelandschaftliche Oberfläche des Wohlgemuthschen Interfaces oder glatt wie der Körper einer Puppe.
Es geht aber nicht um den Körper, es geht um die Bilder und Imaginationen und um die Annahme unbewusster Phantasien in der Präsentation. Das weisse Plastikinterface wird zum kalten Medium eines digitalisierten Körpers, das gleichzeitig zu einer obsessiven Beschäftigung mit ihm verführt und somit immer wieder die Frage aufwirft, was denn gemeint sein könnte, wenn von ‚unserem‘ Körper die Rede ist.
Die Off-Stimme erzählt aus dem Leben, was schon einen Dialog ergeben könnte. In dieser Interaktion ist aber die Distanz schon eingebaut, in der somit spielerisch über die Art und Weise der Begegnungen nachgedacht werden kann.
Das Subjekt erweist sich in der virtuellen Welt als durch permanente Interaktion konstruierte Identität, die durch sprachliche Zeichen formiert und transformiert wird, und die sich nicht auf universelle Wahrheiten einbinden lässt. Kohärenz und Stabilität entstehen durch das Zurückkommenkönnen. Das Internet hat seine Homepages. Allerdings beschreiben sie keinen Ort der Heimat oder des Heimwehs, denn sie sind flexibel veränderbar. Die elektronische Kultur bietet für das Multiple ein weites Feld, denn Multiplizität wird durch das Internet konkret und zeitlich unbegrenzt erfahrbar. Die Verschmelzung von Fiktion und Wirklichkeit, welche die Dominanz des einen über das andere ausschliesst, ruiniert jeden ordentlichen Sinn oder jedes Denkschema. Eine feste Beziehung zwischen dem Denken und dem Handeln und der Wirklichkeit kann nicht hergestellt werden. Der Vorschlag lautet: Die Spiele transparent zu machen, subversiv, absichtslos, irritierend, nicht auf Dauer, und dies wieder und wieder.
Die Neuen Medien verstärken und fördern die alte Fähigkeit zur Simulation und stimulieren dazu, dies offen darzustellen. Den Phantasien der Wiederholung sind keine Grenzen mehr gesetzt. Die Grenzen fliessen im phantastischen Raum dahin: Das Unmögliche kann möglich sein, das Künstliche als das gezeigt werden, was es ist.